Neue Perspektiven in Games-Narativen bei All In! Games - Backfirewall_ und Phantom Hellcat - pixelmonsters.de

Neue Perspektiven in Games-Narativen bei All In! Games - Backfirewall_ und Phantom Hellcat

von ComancheMan,

Aus dem Innern eines Smartphones und eines Theaters

Backfirewall_

Wahrscheinlich kennt jeder von uns Leute, die nie ihre Gräte updaten wollen. Oder wir sind es sogar selbst. Warum ist das eigentlich so? Was ist unser Problem mit diesen lästigen Updates? Ist es bei sich ständig Sachen verändern, die wir eingestellt hatten? Und was passiert dabei eigentlich in unseren Geräten? Wie muss ich das System dabei fühlen, wenn es upgedatet wird und neu geschrieben wird? Solche Fragen müssen sich wohl die Entwickler des zynischen, ironischen und eigenartigen Games Backfirewall_ gestellt haben, als sie angefangen haben ihr Spiel zu entwickeln.

In Backfirewall_ geht es um das Innenleben eines Handys einer jungen Dame, das gerade kurz davor steht auf die nächste Betriebssystem Version 10 upgedatet zu werden. Man spielt dabei als Charakter eine Art Repräsentant des bestehenden Systems Version, OS9. Dieser Charakter ist ein bisschen trottelig, hat einen trockenen britischen Humor und auch einen britischen Akzent. Und er mag es gar nicht, dass er jetzt mit Version 10 ersetzt werden soll. Denn dann würde er ja sterben.
Doch immer wieder drängt sich der Update-Agent für die neue Version ins System und versucht OS9 zu überwältigen. OS9 und der Spielende müssen dabei Rätsel lösen, geheime Räume und Verstecke erforschen und auch kleine Action-Passagen bewältigen damit er das System aufräumen kann und somit dem Update entkommt. Dabei entdeckt er unter anderem auch die Hinterlassenschaften der Userin des Telefons, die signifikant dazu beigetragen hat, dass das System so verstopft ist.

Um sich Backfirewall vorzustellen kann man einfach an Portal denken, denn das Leveldesign und die Rätselaufgaben sowie die Sprachausgabe der versnobten Charaktere erinnern stark an dieses großartige Vorbild. Die Optik des Spiels sieht allerdings etwas anders aus, denn im Inneren des Systems herrschen einfache klare Formen und Farben vor; die Rätsel aber auch die Abschnitte der jeweiligen Räume sind meist auch viel abstrakter. Viel beruht dabei auf dem humorvollen Spiel mit IT- und Computertechnikbegriffen und -wissen. So muss man neben den Rätseln auch Bugs und Cheats auszunutzen lernen um weiterzukommen.

Dieses Konzept mach damit Backfirewall_ sehr einzigartig. Was wir in unserer kurzen Demo bereits feststellen konnten, war das sowohl die Rätsel als auch die Texte, Dialoge und Sprecher alle ein sehr hohes Qualitätslevel an den Tag legen. Somit war unser erster Eindruck von der Demo ein spaßiger, ironischer und zynischer Einblick in die kreative Welt dieses feinen Spiels und des dargestellten Systems.
Wenn BackFirewall noch 2022 dann rauskommt, erhoffen wir uns eine spannende, interessant erzählte Perle, die auch sich sicherlich mit Geheimtipps wie The Stanley Parable messen können dürfte. Wenn es sich nur annähernd an solche Vorbilder rankommt, dann könnte hier ein neuer Geheimtipp für ein kreatives Indiespiel mit Rätseln entstehen. Man sollte den Titel auf jeden Fall eine Chance geben.

Phantom Hellcat

Was in den bunten Trailer-Show-Paraden wie der Gamescom-Opening-Night-Live schnell mal untergeht, sind eine ganze Menge interessanter Titel, deren eigenständiges Konzept sich nur schwer in einem 2-Minuten-Action-Trailer zeigen lässt. Phantom Hellcat fiel für mich voll in diese Kategorie: Der Vorab-Trailer stach vielleicht kurz mit guter Grafik und Animation hervor, hinterlies aber fast keine Erinnerung zu dem Titel darüber hinaus.
Um erfreulicher, dass uns der Titel in der Einzelpräsentation von einem sehr energischem, polnischem Entwickler vorgestellt wurde, wenn auch ohne Anspielmöglichkeit. Die erfahrenen Köpfe hinter dem Titel haben es sich zum Ziel gesetzt ihre große Liebe zum Hack’n’Slash-Genre in einen Titel mit westlichem Themen und Setting zu übertragen. Sie meinen damit Third-Person-Prügel- und Schießspiele wie Bayonetta, Devil May Cry und Metal Gear Rising. Das kleine, noch neue Studio Ironbird Creations versucht mit Phantom Hellcat eine Genrelücke der letzten Jahre zu füllen und sich selbst ein Traumprojekt zu erfüllen.

Neben der Mechaniken der genannten Beispiele haben sie sich auch von einem Konzept aus Nier Automata beeinflußen lassen: den fließenden Perspektivwechsel zwischen 3D-Passagen mit freier Kamera und Sidescrolling-Passagen. Hier waren sie besonders stolz, dass es ihnen gelungen ist, die umfangreiche Steuerung über beide Sichten konsistent zu halten. Combos in Kämpfen werden also durchgehend in Phantom Hellcat genauso eine wichtige Rolle spielen wie die ausgefeilten Sprint- und Nahkampffähigkeiten.
Storyseitig geht es im Titel um die Teenagerin Jolene, die ähnlich zu 90er-Heldinnen wie Buffy, sich mit einer ganzen Menge Dämonen rumschlagen muss. Diese hatten ihre Mutter entführt nachdem Jolene versehentlich ein Schutzsiegel gebrochen hat. Das passierte an ihrer Mutters Arbeitsort, einem alten, mystischem Theater und heimlichen Dämonengefängnis. Natürlich geht die Story noch um einiges tiefer und es gilt darüber hinaus alte Familiendramen aufzudecken.
Mit dem Einfluss der befreiten Dämonen verändert sich auch das Theater massgeblich, in dem das ganze Spiel stattfindet. Wie in einem Kino mit verschiedenen Filmen entstehen dabei Abschnitte mit ganz unterschiedlichen Szenarien, die Jolene bestehen muss. Sich die Besonderheiten von Theaterkulissen und historischer Bühnenelemente wie z.B. Masken zu eigen machend, spielen die Entwickler clever mit dem Leveldesign. Dies kommt zum Ausdruck indem z.B. weiter entfernte Objekte nur noch flache Objekte sind, es versteckte Räume um das Bühnenbild herum gibt sowie Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Bühnen. Auch mit der Beleuchtung durch Bühnenscheinwerfern wird kreativ umgegangen und der Fokus des Spielers gelenkt. Die Narrative bricht da schon mit der normalen Wahrnehmung von Raum und Zeit.

Nach dem Ersteindruck der nicht spielbaren Vorstellung konnten wir viele spannende Ideen in cleveren Kombinationen entdecken und auch die Erfahrung und Leidenschaft der Entwickler hautnah spüren. Genre, Setting und interessanter Hauptcharakter würden mich schon stark ansprechen. Die grafische Präsentation und das Design zeugen von viel Talent.
Was Phantom Hellcat aktuell noch sehr schwer greifen lässt, ist, dass in den Levels viel mit Meta- und echten Ebenen gespielt wird. Die Designlinie ist auch nicht an allen Enden intuitiv erfassbar, teils wird auf sehr viele Popkultur-Elemente angespielt und “neurotisch” erzählt (Zitat), was es noch etwas abstrakter werden lässt. Natürlich sind diese Punkte im eizigartigen Konzept des Titels verankert und auf einer Messedemo schwierig in 20 Minuten zu pressen.
Wenn die motivierten Künstler hinter Phantom Hellcat noch etwas an der Zugänglichkeit arbeiten und die Spieler nicht direkt mit allen Elementen überschütten, könnte aus der Geschichte ein wirklich eigenständiges Highlights für eine jüngere Zielgruppe werden, die das Genre vielleicht noch einmal neu oder von einer anderen Seite kennenlernen kann. Das wäre doch wirklich wünschenswert.