One Hour Photo: Schnappschuss der Einsamkeit - pixelmonsters.de
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One Hour Photo

von ComancheMan,

Robin Williams versucht mit dem Portrait eines einsamen Voyeurs sein Gutmenschimage loszuwerden und dreht dabei einen innovativen Thriller, der einen das Fürchten lehrt.

Sy Parrish (Robin Williams) ist seit vielen Jahren im lokalen Großsupermarkt Savmart der oberste Photolaborant. Und Sy ist beim Entwickeln für seine Kunden ein Perfektionist. Für seinen opportunistischen Chef ist er jedoch manchmal etwas zu engagiert, z.B. wenn er sich vor den Kunden mit dem Entwicklungsmaschinen-Techniker über eine geringe Farbabweichung streitet. Aber genau so uninteressant wie sein Job klingt, ist Sy auch selbst. Sein ganzes Erscheinungsbild ist fade und langweilig. Seine Kleidung sieht aus als käme sie entweder aus der 70ern oder aus der Altkleidertonne. Das einzige farbige Stück, was er zu besitzen scheint, ist seine Savmart-Weste. Sy hat jedoch ein kleines Geheimnis, denn er ist Voyeur und da er selbst kein wirkliches Leben führt nimmt er über Abzüge der Kundenfotos, die er für sich selbst entwickelt, an deren Leben teil. Insbesondere die junge Familie Yorkin hat es ihm angetan, da sie im Gegensatz zu ihm alles, was man sich wünschen kann, zu besitzen scheinen, inklusive eines niedlichen, kleinen Jungens. Da er seit Jahren ihre Fotoentwicklungen betreut, sieht er wie der Junge aufwächst und wünscht sich oftmals er wäre dessen Onkel. Da er aber immer nur die Fotos der Familie hat, kann er nicht wissen, dass es auch bei den Yorkins einige Probleme gibt. Eines Tages jedoch bemerkt Sy’s Chef, dass immer wieder Abzüge von Fotos verschwunden sind und da Sy das natürlich nicht erklären kann bzw. will, wird er kurzerhand gefeuert. Für ihn bricht damit natürlich fast seine ganze Welt zusammen, da er damit ja den Anschluss an seine Scheinwelt, seine Zuflucht, zu verlieren droht. Endgültig verliert er seine Fassung allerdings erst, als er in seinen letzten Arbeitstagen auf den Fotos einer Kundin entdeckt, dass diese offensichtlich ein Verhältnis mit dem Vater der Familie Yorkin hat. Daraufhin vertauscht er die Abzüge so, dass die Ehefrau die Beweisbilder der romantischen Beziehung erhält. Jetzt, arbeitslos und bezugslos, versucht er einen letzten verzweifelten Versuch Kontakt mit zu dem Sohn der Familie herzustellen. Die Mutter alarmiert daraufhin die Polizei, um sich zu schützen. Der verzweifelte Sy wird damit zum Gejagten und nutzt seine letzten, unbehelligten Stunden, um dem Familienvater nachzustellen, der sich gerade mit seiner Geliebten vergnügt. Obwohl hier natürlich kein gutes Ende zu erwarten ist, ist es geradezu zynisch, dass es am Ende gerade Sy ist, der mit seinen Taten das Ende der fröhlichen Familienfassade einläutet, indem er die Affäre aufdeckt.

Schauspielerisch ist der Film fast eine neue Offenbarung Robin Williams’. Seine Darstellung des manischen Voyeurs, der zum Psychopathen wird, ist als seine erste wirklich negative Rolle schlichtweg genial gespielt. Die Identifikation des Zuschauers mit ihm geht erschreckend weit, auch weil fast alle von Sy’s Schritten absolut nachvollziehbar sind. Und das er seine Schauspielkollegen gnadenlos an die Wand spielt liegt nicht nur daran, dass sonst keine richtigen Stars im Film vorkommen. Man hat vielmehr den Eindruck, alle anderen würden sich zurücknehmen, um Robin Williams seine One-Man-Show zu ermöglichen. Trotzdem fallen noch Connie Nielsen in der Rolle der Mutter Nina Yorkin und insbesondere der aus „Emergency Room“ bekannte Eriq La Salle als besorgter Polizist positiv auf. Für eine Reduzierung auf die darstellerischen Leistungen sorgt auch die überragend realistische Kulisse, die in ihrer kalten Tristesse manchmal wie eine weiße Wand wirkt, auf der sich die minimalen emotionalen Ausbrüche abzeichnen. Der Savmart, in dem Sy arbeitet, ist nahezu ein eindeutiger Nachbau der Walmart-Architektur und Farbgebung und erzeugt damit den ganz normalen Shopping-Terror, den jeder kennt, wenn man sich in den schier endlosen, anonymen Reihen verfängt. Als krasser Gegensatz dazu ist das Haus der Yorkins schön und stilvoll mit Designermöbeln eingerichtet, vielleicht aber einen Tick zu austauschbar und unpersönlich. Eigentlich sind sowieso die Farben und Kontraste umgesetzt von einer grandiosen Kamera die zweite große Leistung des Films. Sy’s Umgebung und Arbeitswelt wird komplett in blassen, kalten, fast farblosen Tönen gehalten. Das unterstreicht seine eigene Sichtweise auf sein Leben voller Leere. Wiederum entgegengesetzt dazu sind die Farben, die die Familie darstellen sehr bunt und lebhaft. Die oftmals verwendeten Brauntöne vermitteln Geborgenheit. Diese zwei Farb- und Gedankenwelten überschneiden sich immer dann, wenn Sy sich in seinen Gedanken selbst als lieber Onkel in die heile Familie hineinträumt. Letztlich zeigt Regisseur und Drehbuchautor Mark Romanek mit seinem Film ein Zerrbild der Einsamkeit und was durch sie aus Menschen werden kann. Zwar bringt der aus den Fugen geratene Sy niemanden um, dennoch ist er selbst seelisch stark ramponiert und zerstört mit seinem Verhalten die noch einigermaßen intakten Familienstrukturen seiner Idealbilder. In Bezug auf ihn wird zwar schon früh im Film eine Warnung durch den Sohn der Familie ausgesprochen, diese wird aber konsequent durch die Mutter ignoriert. Genauso ist aber auch anzumerken, dass auch Sy nicht den Mut aufbringt zu fragen, ob er sich denn der Familie nähern dürfte, z.B. als Betreuer für das Kind. Dies ist weniger Storyloch, als Zeichen dafür, wie weit er schon abgedriftet und sein Selbstwertgefühl untergraben ist.

One Hour Photo
One Hour Photo

Produktion USA 2002
Laufzeit 96 Minuten
Kinostart 9. Januar 2003
Fazit von ComancheMan

„One Hour Photo“ ist ein schockierendes und intensives Psychogramm, das von der Farbästhetik und einem Hauptdarsteller lebt, der hier auf unausgetretenen Pfaden brilliert. Darüber hinaus ist es eine wichtige Momentaufnahme unserer entfremdeten Welt und damit sicher keine leichte Kost, könnte aber die Augen für den einen oder anderen Mitmenschen öffnen.

9
/ 10